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Mein Hund frisst draußen alles – und das ist gar nicht so verrückt, wie es aussieht

Du bist unterwegs, genießt den Spaziergang, und plötzlich hörst du dieses verdächtige Schmatzen hinter dir. Dein Hund hat – mal wieder – etwas gefunden. Vielleicht ein altes Brötchen, einen Hühnerknochen, ein Taschentuch oder, wenn du richtig Pech hast, etwas, das du lieber gar nicht so genau identifizieren möchtest.

„Warum frisst mein Hund draußen alles?!“ Diese Frage stellen mir viele Hundehalter:innen – und meistens schwingt dabei ein Mix aus Sorge, Ekel und Frustration mit.

Aber weißt du was? Dieses Verhalten ist nicht nur weit verbreitet, sondern sogar zutiefst natürlich. Es ist Teil der Hundepersönlichkeit – und hängt eng mit der Art zusammen, wie Hunde in der Welt überleben und sich wohlfühlen.

Lass uns also mal genauer hinschauen.

Straßenhund fressen Futter von der Straße
Straßenhunde beim Einsammeln von Futter

Hunde sind Futtersucher, keine Jäger

Wenn wir an Hunde denken, haben viele von uns noch das Bild des wilden Jägers im Kopf – der durch Wälder streift, Beute reißt und stolz mit seinem Fang zurückkehrt. Aber das stimmt nur teilweise.

Der Haushund ist kein klassischer Jäger. Er ist ein Futtersucher. Das bedeutet: Sein Überleben hing (und hängt) nicht davon ab, selbst zu jagen, sondern davon, Futterquellen zu entdecken und zu nutzen – egal, ob es sich dabei um Beutereste, Abfall oder Früchte handelt.

In freier Umgebung fressen Hunde tatsächlich erstaunlich vielseitig:

  • Menschlichen Abfall oder Aas

  • Gemüse und Obst

  • Kot anderer Tiere (ja, das gehört dazu – ekelhaft für uns, aber oft harmlos für sie)


Das zeigt uns: Hunde sind Allesfresser, die Abwechslung schätzen. Und sie sind soziale Fresser – in Gruppen wird gemeinsam gesucht, gefunden und verzehrt.

Wenn dein Hund also draußen etwas aufsammelt, folgt er keinem bösen Plan. Er lebt einfach aus, was in ihm angelegt ist: seine Neugier, seine Nase, sein Überlebensinstinkt.


Warum Fressen für Hunde so viel mehr ist als Nahrungsaufnahme

Fressen ist für Hunde nicht nur Mittel zum Zweck. Es ist Beschäftigung, Selbstregulation und Wohlfühlmoment in einem.

Viele Hunde suchen beim Fressen Entspannung. Das Kauen, Zerlegen, Schlecken – all das aktiviert ihr Belohnungssystem. Kauen baut Stress ab. Suchen beruhigt. Finden belohnt.

Wenn Hunde regelmäßig Gelegenheit bekommen, auf natürliche Weise Futter zu suchen und zu verarbeiten, sind sie ausgeglichener, ruhiger und zufriedener.

Umgekehrt gilt: Wenn wir ihnen diese Möglichkeiten nehmen – etwa, weil draußen „nichts gefressen werden darf“ und drinnen alles brav aus der Schüssel kommt –, entsteht leicht Frustration. Und Frustration sucht sich ihren Weg.


Wenn das Fressverhalten „komisch“ wird

Manche Hunde gehen noch weiter: Sie fressen Dinge, die eigentlich gar keine Nahrung sind – Steine, Erde, Socken, Plastik.

Das nennt man Pica. Es kann medizinische Ursachen haben (z. B. Mangelerscheinungen, Parasiten, Magenprobleme), oft aber steckt auch Stress oder Unterforderung dahinter.

Auch Verhaltensweisen wie exzessives Lecken oder Nuckeln an Decken können dazugehören – alles Strategien, mit denen der Hund sich selbst beruhigen möchte.

Wichtig ist: Solche Verhaltensweisen sind keine „Macken“, sondern Signale. Sie zeigen, dass im Leben des Hundes etwas fehlt – Sicherheit, Beschäftigung, Entspannung oder schlichtweg die Möglichkeit, seine natürlichen Bedürfnisse auszuleben.


Ressourcenverteidigung: Wenn Futter Stress bedeutet

Vielleicht hast du schon erlebt, dass dein Hund knurrt, wenn du dich seinem Futter näherst. Oder dass er etwas besonders Wertvolles (z. B. einen Knochen oder ein Stück Brot) schnell runterschluckt, bevor du „Nein“ sagen kannst.

Das ist kein Zeichen von „Dominanz“, sondern von Unsicherheit und Angst, etwas zu verlieren.

Hunde lernen schnell, dass Menschen ihnen oft etwas wegnehmen. Also versuchen sie, ihre Ressourcen zu sichern – durch Meiden, Abblocken oder, wenn das alles nichts bringt, durch Aggression.

Ich arbeite gern mit einer Skala, die zeigt, ab wann Futterverteidigung zum Problem wird – und wann sie einfach nur normales Hundeverhalten ist. Das zu erkennen, ist der erste Schritt zu einem faireren Umgang, wenn es um Ressourcen geht.

Wenn du dich dafür interessierst: In meinem Webinar "Anti-Müllschlucker-Kurs" erkläre ich diese Skala im Detail und zeige, wie du sie zur Einschätzung deines Hundes nutzen kannst.


Frustration – der unsichtbare Motor hinter vielem, was wir „nicht mögen“

Viele Hunde, die draußen alles fressen, tun das meist nicht, weil sie Hunger haben (die meisten unserer Hunde sind gut genährt), sondern weil sie gestresst oder frustriert sind.

Frustration entsteht immer dann, wenn ein erwarteter Verstärker – also etwas Positives – ausbleibt oder nicht so gut ausfällt wie erwartet. Beispiel: Dein Hund entdeckt etwas Spannendes (ein anderer Hund, ein Geruch, ein Stück Müll), darf aber nicht hin. Sein Bedürfnis wird blockiert, die Erwartung nicht erfüllt – Frustration entsteht.

Das Gehirn reagiert darauf mit Aktivierung des Stresssystems: Adrenalin, Cortisol, Anspannung. Und einer der einfachsten Wege, diesen Stress wieder loszuwerden, ist … du ahnst es … etwas ins Maul zu nehmen und zu fressen.

Je häufiger Hunde Frust erleben, desto kreativer werden sie darin, ihre Bedürfnisse selbst zu stillen – und Futter ist da eine sehr naheliegende Lösung.


Kontrolle und Vorhersagbarkeit: zwei unterschätzte Bedürfnisse

Ein weiterer Grund, warum Hunde draußen alles fressen, ist das Gefühl von Kontrollverlust.

Wenn alles im Leben des Hundes von uns bestimmt wird – wann er frisst, wo er spazieren geht, wann er schnüffeln darf, mit wem er Kontakt haben soll – verliert er das Gefühl, Einfluss auf seine Umgebung und sein eigenes Leben zu haben. Das ist enorm stressig.

Indem er selbstständig Futter sucht und findet, holt er sich Kontrolle zurück. Er erlebt Selbstwirksamkeit: „Ich kann etwas tun, das mir guttut.“

Diesen Aspekt sollten wir niemals unterschätzen. Denn Hunde brauchen – wie wir Menschen – das Gefühl, dass ihr Verhalten eine Wirkung hat.


Welpe sucht Futter auf Wiese mit grünen Stangen
Futtersuchspiele sollte man schon mit Welpen beginnen. Es sollte zur Tagesroutine gehören.

Was du tun kannst, statt ständig „Nein!“ zu sagen

Viele Halter:innen reagieren verständlicherweise mit Strenge oder Verboten:„Lass das!“, „Aus!“, „Pfui!“ Aber das löst das Problem nicht – es verstärkt es meist noch.

Wenn der Hund lernt, dass Menschen ihm Futter wegnehmen oder den Zugang verwehren, wird das Fressen draußen noch wertvoller. Er beginnt, schneller zu schlucken, heimlicher zu werden oder die Dinge zu verteidigen.

Der bessere Weg: dem Hund geben, was er sucht – aber kontrolliert, sinnvoll und sicher.

Hier ein paar Ideen:

1. Tägliche Futtersuchspiele

Lass deinen Hund regelmäßig suchen! Das ist artgerecht, selbstbelohnend und entspannt ungemein. Streu kleine Leckerchen ins Gras, verstecke sie zwischen Blättern oder im Wald – Hauptsache, dein Hund darf seine Nase benutzen.

Wichtig: Suchspiele müssen zum Erfolg führen. Wenn sie zu schwer sind, entsteht wieder Frust – und das wollen wir vermeiden. Und der Mensch soll sich raushalten, wenn der Hund sucht.

2. Futter kreativ anbieten

Mach das Fressen zum Erlebnis!

  • Lass deinen Hund Futter auspacken (z. B. in Zeitungspapier gewickelt).

  • Biete verschiedene Geschmacksrichtungen getrennt an.

  • Verteile das Futter an verschiedenen Orten im Haus oder Garten.

  • Verwende mal stinkige, ungewöhnliche Dinge wie Fisch, Käserinde oder Sauerkraut – Hunde lieben das!

So wird Fressen abwechslungsreich und spannend, ohne dass dein Hund draußen nach Ersatz suchen muss.

3. Routinen schaffen

Wenn du auf Spaziergängen feste „Futterstellen“ hast, an denen dein Hund regelmäßig suchen darf, entsteht Vorhersagbarkeit. Das senkt Stress, weil dein Hund weiß: „Hier darf ich. Hier lohnt es sich.“Und zwischen diesen Stellen ist es leichter, Dinge liegen zu lassen.

4. Freundliche Verhaltensunterbrechung

Wenn dein Hund doch mal etwas aufnimmt, unterbrich freundlich – ohne zu schimpfen. Trainiere z. B. den Geschirrgriff (bitte nur unter Anleitung!) als Signal für „Stopp, schau mal zu mir“. Dann biete ihm etwas Besseres an oder leite ihn in eine andere Aufgabe über.

Wichtig: Je früher du unterbrichst, desto geringer ist der Frust.

5. Stress und Frust abbauen

Mehr Ruhe, mehr Bewegung, mehr Selbstbestimmung – das sind die besten „Antifresser-Maßnahmen“. Ein Hund, der regelmäßig schnüffeln, spielen, schlafen und selbst entscheiden darf, hat weniger Grund, seine Bedürfnisse heimlich zu stillen.


Verständnis statt Kontrolle

Wenn wir anfangen, das Fressverhalten unserer Hunde nicht als Fehlverhalten, sondern als Bedürfnis zu sehen, verändert sich alles. Wir reagieren nicht mehr mit Ärger, sondern mit Verständnis – und das wirkt sich positiv auf die ganze Beziehung aus.

Denn: Du kannst deinem Hund nicht das Fressen abgewöhnen. Aber du kannst ihm zeigen, wann und wo er es ausleben darf, weil es da sicher ist. Und das ist am Ende nicht nur für deinen Hund entspannter – sondern auch für dich.


Wenn du tiefer eintauchen willst …

In meinem Webinar „Anti-Müllschlucker-Kurs“ erkläre ich genau,

  • warum dieses Verhalten völlig normal ist,

  • welche körperlichen und emotionalen Ursachen es haben kann,

  • wie du Ressourcenverteidigung richtig einschätzt,

  • und wie du mit einfachen Futtersuchspielen und Routinen nachhaltige Veränderung erreichst.

Das Webinar bietet dir das Hintergrundwissen, das du brauchst, um deinen Hund wirklich zu verstehen – statt nur an Symptomen herumzudoktern.


Autorin: Sarina Kriechbaum-YoungHundetrainerin & Spezialistin für Nasenarbeit

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